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Channel: Stephanie Leienbach, Autor auf Müttermagazin
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Geständnis: Ich war vom Geschlecht meines Babys enttäuscht.

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Ein ehrlicher Gastbeitrag von Lisa aus Koblenz

Der Schwangerschaftstest zeigte tatsächlich zwei deutliche Linien an. Wir haben so lange darauf gewartet. Ich konnte es nicht fassen und anstatt eine große Überraschung für meinen Mann zu planen, rief ich ihn schluchzend auf der Arbeit an und stammelte: „Wir bekommen ein Baby!“ in den Hörer. Wir bekommen ein Baby. Ein Mädchen, da war ich mir zu 100 % sicher. Unser kleines Mädchen war also auf dem Weg. Endlich. Ein Besuch bei meiner Gynäkologin eine Woche später bestätigte uns die Schwangerschaft. Ich war in der fünften Woche. Wooooow, was für ein wahnsinns Gefühl, das erste Mal das Herz schlagen zu sehen. Wir waren völlig geflasht. Alle freuten sich auf das Baby. Auf das Mädchen.

Ich weiß gar nicht, wie es dazu kam, dass unser Baby in unseren Gedanken von Anfang an ein Mädchen gewesen ist. Wir sprachen von Emma, in Klamottenläden gefielen uns die kleinen Kleidchen und wenn es etwas in rosa gab, dann grinsten wir uns an und wussten beide, dass es Emma wunderbar stehen würde. Ich sah meinen Mann mit Emma unter der Spieldecke liegen und ich stellte mir vor, wie ich ihre Zöpfe flechten würde. Es ist doch total vermessen zu glauben, dass aus einer 50/50 Chance nun unbedingt das Wunschgeschlecht heraus kommen würde. Das „Wunschgeschlecht“, alleine das Wort ist doch total gemein. Trotzdem, wir waren überzeugt davon, dass unser Baby ein kleines Mädchen sein würde. Ich ertappte mich dabei, wie ich in Woche 12 sogar einen kleinen Strampler in pink kaufte, stilecht mit kleiner Hello Kitty Katze darauf. Für Emma. Meine Mutter fragte mich, woher ich mir denn so sicher sei, dass unser Baby ein Mädchen und kein Junge sein würde. Ich sagte, dass wir das einfach fühlen würden.

Es muss in Schwangerschaftswoche 18 gewesen sein, ich nahm einen Ultraschalltermin war und mein Mann war mit dabei. Aufregend! Es dauerte keine zwei Minuten bis unser Arzt plötzlich sagte: „Na, da ist aber jemand zeige freudig! Ihr wollt doch wissen, was es wird, oder?“ Wissen, was es wird? Achso, ja, ähm…..natürlich. Gespannt schauten wir auf das grau-weiße Bild und entdeckten selber ziemlich schnell, was uns da ins Bild sprang. „Es ist ziemlich eindeutig ein Junge!“ sagte unser Arzt. „Ein Junge?“ …Stille……Meine Gedanken kreisten und ich bat den Arzt, nochmal genauer zu schauen. Und wieder zeigte uns unser Sohn sein Gemächt. Ich fragte den Arzt, ob er sich nicht geirrt haben könnte und ob aus dem Penis nicht doch noch eine Scheide werden würde. Seine Antwort war ziemlich deutlich: „Also abgefallen ist er bis dato noch keinem Baby! Aber natürlich kann ich keine 100 %ige Aussage treffen, denn manchmal“……Was er dann sagte, hörte ich schon kaum noch. Keine Emma? Kein Mädchen? Mein Mann konnte sich mit dem Gedanken einen Jungen zu bekommen erstaunlich schnell anfreunden. Ich jedoch nicht. Und heute schäme ich mich für meine Gedanken. Damals fühlte es sich so an, als wolle mir das Leben einen Streich spielen. Ich googelte mir die Finger nach Forenbeiträgen wund, in denen aus einem Jungen doch noch ein Mädchen geworden ist. Ja, es gab diese Fälle und ich gehörte garantiert dazu. Ganz bestimmt.

Falsch. Ich gehörte nicht dazu.Die Feindiagnostik gab mir erneut Gewissheit. Emma ist ein Junge. Wir sollten einen Jungen bekommen. Das, was ich euch jetzt schreibe, tut mir in der Seele weh, denn ich wünschte, ich hätte dieses Gefühlschaos nie durchmachen müssen aber ich bin einfach ehrlich. Die Freude über meine Schwangerschaft nahm rapide ab. Ich war enttäuscht. Unglaublich, das mir das mal passiert. ICH, die noch vor Jahren selber sagte: „Hauptsache gesund!“ oder „Sei froh, dass du überhaupt ein Kind erwartest!“ Darf man enttäuscht sein, wenn sich etwas so banales wie das Geschlecht des Kindes sich nicht so entwickelt, wie man es sich vorgestellt hat? Ich traute mich irgendwann, meiner Mama von meinen Gefühlen zu erzählen und natürlich verstand sie mich nicht. „Lisa, es ist doch total egal, ob Mädchen oder Junge, es ist DEIN Kind und du wirst es lieben, auch mit Schniepi!“, das war ihre Antwort. Mein Mann verstand mich ebenso wenig, denn er sah sich schon auf dem Fußballfeld stehen, mit seinem Jungen. Für mich schwand der Traum nach gemeinsamen Shopping-Trips, nach kleinen Kleidchen und nach Zöpfen.

Keiner verstand mich. Ich war alleine mit mir und meinem Bauch, dessen Inhalt mich so beunruhigte. Ich und Jungs, was soll ich bloß mit ihm spielen? Jungs raufen sich doch nur und Jungs sind viel grober als Mädchen. Jungs schmusen weniger als Mädchen. Für Jungs gibt es weniger tolle Klamotten als für Mädchen. Und..und….und…..Ich erschrak mich selber vor meinen Gedanken und im gleichen Moment fühlte ich mich meinem Kind gegenüber so schuldig. Ich werde eine schlechte Mama sein. Worauf habe ich mich da eingelassen? Die Hormone taten ihr übriges, wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt.

Dennoch: Es war genauso so, wie ich es euch sage, ich konnte mich nicht damit anfreunden, eine Jungs-Mama zu werden. Es fühlte sich falsch an. Das Problem an diesem Dilemma ist, dass man als werdende Mutter nicht über diese Gefühle sprechen darf. Man wird in eine Schublade gesteckt auf der „Fiese, undankbare Schwangere“ steht. Versteht mich nicht falsch, mir war klar, dass ich diesem Baby irgendwann gerecht werde aber in den einsamen Momenten mit dickem Bauch ging es mir nicht gut. Ich heulte, wenn ich kleine Mädchen im Fernsehen sah und ich heulte, wenn ich im Schrank den pinken Strampler sah. Meine Hebamme merkte irgendwann, dass es mir nicht gut ging und sie sprach mich an. Es brach aus mir heraus und ich heulte eine ganze Stunde lang. Sie reichte mir nach und nach Taschentücher und hörte einfach nur zu. Am Ende meines Schluchzen sagte sie: „Wie? Das ist alles? Du hast Angst, dass du dein Kind nicht lieben kannst, weil es ein Junge ist? Mach dir keinen Kopf, das ist okay!“ Moment mal, was hatte sie da gesagt? Sie erklärte mir, dass das nicht das erste Mal sei, dass ihr eine werdende Mutter von diesem speziellen Kummer berichtete. Sie sagte, dass wir Erwachsenen uns kein Gefühl der Enttäuschung über das Geschlecht des Babys erlauben. Nur, wenn das Haus, welches wir uns so gewünscht haben, an einen anderen Mieter geht, dann dürfen wir enttäuscht sein. Sie sagte, dass das Gefühl über ein bestimmtes Lebensziel, welches nicht erreicht wurde, durchaus berechtigt sei, denn wir müssen uns erst davon „verabschieden“ und dazu gehen wir durch eine Trauerphase. Dann fügte sie ich hinzu, dass unser Land tolle Männer braucht, damit all die tollen Mädchen oder Jungen später glücklich sein können. Dafür könne ich sorgen. Und diesen pinken Strampler solle ich nicht wegwerfen, er würde ihm bestimmt gut stehen und ich könne ihn ja auch zweifarbig erziehen.

Leon kam nach 36 Stunden Wehen zur Welt. Er war blau und hatte die Nabelschnur dreimal um seinen Hals gewickelt. Ich hatte so eine Angst. Angst um mein Baby. Um unseren Sohn.  In dem Moment, wo er mir auf den Bauch gelegt wurde, verschwanden alle Gedanken. Er war wunderschön. Er war noch viel schöner, als ich es mir jemals vorgestellt habe.

Und wisst ihr was? Der pinke Strampler stand ihm hervorragend.

Der Beitrag Geständnis: Ich war vom Geschlecht meines Babys enttäuscht. erschien zuerst auf Müttermagazin.


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